Autoimmunerkrankungen:
Warum greift unser Immunsystem den eigenen Körper an?

Fachgespräch mit Klaus Dietrich Runow, Arzt und Buchautor

Autoimmunkrankheiten haben in den letzten Jahren stark zugenommen: In den USA leiden 50 Millionen Menschen an diesen immunologischen Fehlregulationen und nehmen Platz drei nach Krebs und Herz- Kreislauferkrankungen ein. Sie gehören zu den Haupttodesursachen besonders bei Mädchen und Frauen jeden Alters.

Von den hunderten Autoimmunerkrankungen werden die meisten dem rheumatischen Formenkreis zugeordnet. Es kommt zu Entzündungen in den Gelenken und Muskeln. Auch Schilddrüsenerkrankungen (Hashimoto, Basedow) sind weit verbreitet. Im Jahr 2015 sind in Deutschland Schilddrüsentherapeutika im Wert von 376 Millionen Euro verabreicht worden. Das sind 2,8 % mehr als im Vorjahr. Generell erkranken Frauen an der Hashimoto Krankheit neunmal öfter als Männer. Häufig treten die Symptome zwischen 40 und 50 Jahren auf. Heute trifft es aber zunehmend auch jüngere, berufstätige Frauen. Ursächlich wird hier vorrangig chronischer Stress sowie seelische und familiäre Belastung gesehen.

Was sind Autoimmunerkrankungen?

Immunzellen besitzen starke Waffen, mit denen sie fast alle fremden Zellen töten können. Wenn das Immunsystem irrtümlicherweise Auto-Antikörper produziert, werden körpereigene Gewebe angegriffen. Jedes Organsystem kann betroffen sein, wie z. B. Gallengänge, Speicheldrüsen, Nieren, Lymphknoten und Blutgefäße. (Tab.1: Autoimmunerkrankungen)

DIE FOLGENDEN CHRONISCHEN ERKRANKUNGEN FALLEN IN DIE GRUPPE DER AUTOIMMUNERKRANKUNGEN:

  • Schilddrüse (Hashimoto, Basedow)
  • Gelenke/Muskeln (rheumatoide Arthritis, Fibromyalgie)
  • Nerven (Multiple Sklerose, Polyneuropathie, Migräne, CFS)
  • Darm (Zöliakie, Colitis, Morbus Crohn)
  • Leber (Hepatitis)
  • Bauchspeicheldrüse (Diabetes Typ I)
  • Haut (Lupus erythematodes, Sklerodermie)
  • Blutgefäße (Vaskulitis, Allergien, Arteriosklerose)

Da die Ursachen der meisten chronisch verlaufenden Krankheiten nicht bekannt sind, stehen dem Arzt hauptsächlich nur Medikamente zur Verfügung, die das Immunsystem abschalten (z. B. Cortison). Die Therapie ist in der Regel nicht mehr als „Laborkosmetik“, d. h. Blutwerte bewegen sich in Richtung „Norm“, die Symptome werden gelindert, aber der Krankheitsprozess läuft „im Hintergrund“ trotzdem weiter ab. Allerdings wird durch die Einnahme der stark-wirkenden Präparate eine künstliche Immunschwäche erzeugt, die wiederum zur Entstehung anderer Krankheiten beiträgt (z. B. Pilzinfektionen, Osteoporose, Gastritis). Die Patienten leben in ständiger Angst, Infektionen zu bekommen und befürchten, dass die Substanzen nach einiger Zeit nicht mehr wirken und deshalb immer stärkere Medikamente eingenommen werden müssen. Auf die Frage nach den Nebenwirkungen wird der Facharzt zugeben, dass diese erheblich sind, dass die Patienten lernen müssen, damit zu leben. Amy Myers schreibt, dass viele Ärzte ihren Patienten verschweigen, dass Menschen mit
Autoimmunerkrankungen mit einer dreifach höheren Wahrscheinlichkeit eine weitere bekommen.

„Bei der Behandlung von Autoimmunerkrankungen hat die Schulmedizin kläglich versagt.“

Amy Myers, Ärztin, Autorin des Buches „Die Autoimmun-Lösung“

Sind die Gene schuld?

Aus schulmedizinischer Sicht können wir uns nicht vor Autoimmunerkrankungen schützen. Oft wird nihilistisch den Genen die Hauptrolle zugeordnet, was so viel bedeutet wie, „da kann man nichts machen“.

Laut Prof. Rudolph Tanzi, Harvard University, gibt es keine schlechten Gene. Nur höchstens 5 % der krankheitsbezogenen Gen-Mutationen setzen sich durch und führen zum Ausbruch einer Erkrankung. Umweltfaktoren und der Lebensstil scheinen der Hauptfaktor für positive und negative Reaktionen unserer Gene zu sein. Man spricht hier von Epigenetik, einem Phänomen, das sich nicht in den Genen, sondern „epi“- also darüber – abspielt. Die Umwelt „spült“ über unsere Gene und die Gene antworten – sie spielen eine Melodie. Um es mit den Worten von Prof. Tanzi zu formulieren:

„Gene sind unser Klavier und unser Lebensstil ist die Melodie – also die Reaktion des Klaviers. Es liegt an uns, welche Melodie wir spielen – Mozart oder Heavy Metal.“

Das Klavier bzw. die Gene bleiben die gleichen. Wenn also die Umwelt die Hauptrolle spielt, liegt es zu einem großen Teil in unserer Hand, wie wir unsere Gene behandeln und optimal nutzen können.

Ursachen von Autoimmunerkrankungen

Forschungsergebnisse der letzten Jahre belegen, dass Nahrungsmittel (Gluten), eine erhöhte Darmdurchlässigkeit (Leaky Gut), Umweltgifte und Medikamente als Auslöser bei Autoimmunerkrankungen infrage kommen.

URSACHEN VON AUTOIMMUNERKRANKUNGEN

  • Umweltgifte und Medikamente
  • Gluten bzw. Nahrungsmittelallergien
  • Leaky Gut (erhöhte Darmdurchlässigkeit)
  • Dysbiose (bakterielle Fehlbesiedelung des Darmes)
  • Entzündungen
  • Stress

Die genannten Punkte müssten natürlich ausführlich erläutert werden, was allerdings den Rahmen dieser kurzen Übersicht sprengen würde. Ich konzentriere mich daher auf Umweltgifte und Entzündungsreaktionen, die u.a. durch Nahrungsmittel wie Gluten und durch eine mikrobiologische Fehlbesiedelung des Darmes ausgelöst oder verstärkt werden.

Schwermetalle lassen Autoantikörper ansteigen

Bei den Umweltgiften möchte ich die Schwermetalle beleuchten. Als Beispiel sei das in Zahnfüllungen (Amalgam) vorkommende Quecksilber erwähnt. Einer Analyse der Universität Michigan zufolge, hatten Frauen mit einer Quecksilberbelastung höhere Werte von Autoantikörpern im Blut. Auch andere Metalle besitzen die Fähigkeit, Autoimmunkrankheiten zu triggern. Eine Schwermetallanalyse im Haar bzw. Urin gehört daher zum Routineprogramm in meiner Praxis. Darüber hinaus können im Blut Reaktionen der weißen Blutkörperchen (Lymphozyten) gegen die betreffenden Metalle untersucht werden.

Besonders problematisch: Nahrungsmittel mit Gluten

Bei Gluten handelt es sich um Speichereiweiße (Prolamine), die in verschiedenen Getreiden vorkommen. Die längste Zeit, die der Mensch auf diesem Planeten verbracht hat, ernährte er sich glutenfrei. Gluten ist der Auslöser der Zöliakie. Neben den für jede Nahrungsmittel-Unverträglichkeit typischen Verdauungsbeschwerden wie Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfälle und/oder Verstopfung treten hier allerdings noch autoimmune (selbstzerstörerische) Reaktionen auf. Es kommt zu extraintestinalen Reaktionen, d. h. Organe außerhalb des Darmes werden angegriffen. Prof. Alessio Fasano, Harvard Universität, hat die Signalsubstanz Zonulin imDarm entdeckt. Zonulin ist ein Eiweiß, das die Verbindungen zwischen unseren Darmzellen, den so genannten Tight Junctions, reguliert. Wenn Zonulin freigesetzt wird, öffnen sich die Abstände zwischen den Darmzellen und es kommt zu einer erhöhten Durchlässigkeit. Prof. Fasano konnte zeigen, dass ein Auslöser für die Zonulin- Freisetzung der Kontakt der Darmzellen zu Gluten ist. In der Folge können Autoimmunerkrankungen ausgelöst oder verstärkt werden. Autoimmunerkrankungen können somit als Barriere-Störung betrachtet werden.

EXTRAINTESTINALE SYMPTOME BEI DER AUTOIMMUNKRANKHEIT ZÖLIAKIE

  • Nerven: Zerebelläre Ataxie, Schizophrenie, Depressionen
  • Haut: Dermatitis herpetiformis
  • Schilddrüse: Thyreoiditis
  • Leber: Autoimmunhepatitis
  • Gelenke & Knochen: Kollagenosen inkl. rheumatoider Arthritis
  • Bauchspeicheldrüse: Diabetes mellitus Typ 1

Bakterielle Fehlbesiedelung stört Immunregulation

Neben der Barriere-Störung spielt die mikrobiologische Besiedelung des Darmes eine große Rolle bei immunologischen Fehlregulationen. Eine aktuelle Studie der University of Texas Health Science Center at Houston zeigt, dass Mäuse Autoimmunerkrankungen entwickeln, wenn die Darmflora (Mikrobiom) gestört ist. Bei einem Mangel an freundlichen Darmbakterien, den Laktobazillen, kam es zu einem Absinken an weißen Blutkörperchen, den Regulatorzellen (T-Reg-Zellen). Diese Zellen haben die Aufgabe, überschießende Reaktionen wie Allergien und Entzündungen zu normalisieren und den Angriff auf körpereigene Zellen zu verhindern. Bei der Untersuchung wurden die fehlenden Darmbakterien wieder zugeführt und hierdurch eine Normalisierung der Regulatorzellen und eine Reduzierung der Entzündungsaktivität erreicht. Die probiotisch behandelten Mäuse überlebten deutlich länger.

Quellenangaben:

1. Subklinische Hypothyreose, Therapie lediglich „Laborkosmetik“: Deutsches Ärzteblatt, 14.4.2017

2. Die Autoimmun-Lösung, Dr. Amy Myers, Irisiana Verlag, Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, D-81637 München, (2016).

3. Super Genes, Deepak Chopra, Rudolph E. Tanzi, Harmony Books, USA, 2015

4. Mercury Exposure and Antinuclear Antibodies among Females of Reproductive Age in the United States, NHANES, Emily C. Somers et al., Environmental Health Perspectives, 2015

5. Gluten in der Nahrung, Ursache chronischer Erkrankungen, Klaus Dietrich Runow, Neue Wege zur Gesundheit (NWzG Heft 46), 2015

6. Der Darm denkt mit, Klaus Dietrich Runow, Südwestverlag, München, 7. Auflage

7. Gut Bacteria May Hold Key to Treating Autoimmune Disease: Yuying Liu, J. Marc Rhoads, The Journal of Experimental Medicine: He, B., et al. 2017. J. Exp. Med. https://doi.org/10.1084/ jem.20160961

8. The Wahls Diet for Multiple Sklerosis, Alternative and Complementary Therapies, Mary Ann Liebert, Inc., 3. Juni 2017

(aus: Supplementa Magazin 2018, Seite 12-17)

Zusatzmaterial (1):

Functional Medicine:
Das 4-R Konzept zur Darmtherapie

Bei der Behandlung des Darmes empfehle ich das in der Functional Medicine
(angewandte Umwelt- und Ernährungsmedizin) bekannte 4-R-Konzept.

1. Remove (Eliminieren/Weglassen)

Nahrungsmittel, die allergische bzw. pseudoallergische Reaktionen verursachen
müssen gemieden werden.

2. Replace (Ersetzen/Hinzufügen)

Dieser Therapiebereich bezieht sich in erster Linie auf die Unterstützung
der Verdauungsleistung durch Enzyme. Unser Körper stellt ab der Pubertät
in jedem Lebensjahrzehnt 10 – 13 % weniger Enzyme her. Somit kommt es
ganz natürlich im Laufe des Älterwerdens zu Problemen mit der Verdauungsleistung.
Meinen Patienten empfehle ich spezielle Enzympräparate, die pHstabil
sind und schon im Magen wirksam sind. Darüber hinaus sind sie
rein pflanzlich und werden nicht – wie üblich – aus Bauchspeicheldrüsen
von Schweinen hergestellt.

3. Reinocculate (Neubesiedelung)

Die freundliche Darmbakterienflora sollte durch die Einnahme von probiotischen
Bakterienstämmen (z. B. Laktobazillen, Bifidobakterien) etc. unterstützt
bzw. wiederbesiedelt werden. Bifidobakterien vermindern die durch
Gliadinpeptide verursachten Entzündungsreaktionen im Darmepithel.

4. Repair (Reparatur)

Reparatur der Darmschleimhaut und der immunkompetenten Zentren in der Darmwand.
Bei einer durch Allergien, Gifte und mikrobiologische Fehlbesiedelung
etc. entzündeten Darmschleimhaut setze ich Fischöl (Omega-3-Fettsäuren),
pflanzliche Substanzen, Mineralstoffe und Vitamine ein. Neben Vitamin C,
Zink, Selen, Glutathion und Coenzym-Q10 dürfen die fettlöslichen Vitamine A,
D3, E (gemischte Tocopherole, Tocotrienole) und Vitamin K2 (Menaquinon-7)
bei der Behandlung der Darmschleimhaut nicht fehlen.

[Zitat]

„Aus der Gruppe der pflanzlichen Wirkstoffe empfehle ich gerne Kurkuma
(Curcumin, Turmeric). Kurkuma wird aus der Gelbwurzel, die auch als gelber
Ingwer bezeichnet wird, gewonnen. Kurkuma ist der Hauptanteil im Curry.“

Klaus-Dietrich Runow, Umweltmediziner

[/Zitat]

Die umweltmedizinische Infusionstherapie: Hepar-Tox®

Ergänzend zur Darmtherapie setze ich bei Autoimmunerkrankungen Wirkstoffe ein,
die den Stoffwechsel der Mitochondrien (Zellkraftwerke) optimieren, Entzündungen
dämpfen und Entgiftungsprozesse unterstützen. Zur Optimierung können Infusionen
mit hochdosiertem Vitamin C, dem entgiftungsfördernden Glutathion, Carnitin und
B-Vitaminen hilfreich sein. Unser Zellschutzprogramm ist unter dem Namen Hepar-Tox®
bekannt geworden.

Hilfe bei Autoimmunerkrankungen durch Functional Medicine

Functional Medicine bedient sich modernster Blut-, Haar-, Urin- und Stuhlanalysen,
um die wirklichen Ursachen von Autoimmunerkrankungen abzuklären. Hierbei arbeiten
wir mit den führenden US-amerikanischen Laboratorien zusammen. Eine wichtige
diagnostische Säule stellt die komplette genetische Stuhl- und Verdauungsanalyse
(GI-Map) dar, bei der neben Krankheitskeimen (Pilze, Parasiten, Bakterien, Viren)
auch Antikörper gegen Gluten sowie die Verdauungsleistung der Bauchspeicheldrüse
untersucht werden. Durch neue Allergietests kann analysiert werden, ob Nahrungsmittel
immunologische Reaktionen auslösen, die sozusagen als „Kollateralschäden“
Organe im Körper angreifen. Haaranalysen geben Aufschluß über eine Belastung durch
Schwermetalle und Defizite im Bereich der Mineralstoffe und Spurenelemente. Auf
der Basis dieser Untersuchungen wird ein individuelles Therapiekonzept erarbeitet.
Den Erfolg dieser Vorgehensweise bestätigt ein spektakulärer Fall in den USA, den ich
bei meiner Teilnahme am internationalen Symposium für Functional Medicine in Los
Angeles im Juni 2017 erleben durfte. Frau Prof. Terry Wahls hielt einen motivierenden
Vortrag über ihren persönlichen Weg der Genesung von der Multiplen Sklerose (MS).
Früher kam es bei ihr phasenweise zu heftigen Schmerzreaktionen, die ihr sogar ein
Sitzen im Rollstuhl unmöglich machten. Umso erstaunlicher ihr heutiger Zustand:
stehend einen Vortrag vor 1300 Zuhörer/innen zu halten! Ihr Weg der Änderung des
Ernährungs- und Lebensstils verbunden mit einer individuell optimierten Nährstofftherapie
hat zu einer erheblichen Verbesserung ihrer Lebensqualität geführt.

[Zitat]

„Functional Medicine ist unsere Musikschule, die uns lehrt, mit
welcher Melodie wir unsere Gene freundlich stimmen und optimal
funktionieren lassen, um somit Entzündungen und Autoimmunerkrankungen
zu vermeiden oder zu lindern.“

Klaus-Dietrich Runow, Umweltmediziner

[/Zitat]